Stillstand

Tag 1 der Ausgangsbeschränkungen

Alle haben sich mit panischen Einkäufen darauf vorbereitet. Ab heute steht der Kapitalismus still. Schulkinder sind zu Hause, Berufstätig arbeiten im Homeoffice oder sind arbeitslos. Alle bleiben brav zu Hause. Obwohl gestern noch ein paar der Maßnahmen verschärft wurden (Cafés werden geschlossen, nicht mehr als 5 Personen an einem Ort), gab es keinen merklichen Widerstand gegen die Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit. Fast ununterbrochen liefern Nachrichtensender Informationen zur und über die Situation und alle sehen gespannt dabei zu. Es herrscht ein erstaunlicher Konsens was die derzeitige Situation betrifft. Nicht nur Politiker, sondern auch Bürger*innen selbst appellieren an unser soziales Gewissen. Die öffentlich-rechtlichen Sender erfahren einen regelrechten Boom. Wir wollen die aktuellen Zahlen, haben Angst vor neuen Einschränkungen, hoffen auf Entwicklungen in der Medizin und können noch immer nicht glauben, dass alle Grenzen geschlossen wurden.

Seit heute ist die wichtigste Message, den Bürger*innen zu erklären, dass die Ausbreitung des Virus nicht verhindert werden kann, aber verlangsamt. #flattenthecurve und #staythefuckhome grassieren in den sozialen Netzwerken und alle rufen dazu auf, zu Hause zu bleiben. Die größte Sorge ist dabei die Entwicklung der Wirtschaft. Zumindest im Elitendiskurs. Zu Hause fragt sich jede Person selbst nur, wie es für die persönlich weitergehen soll. Was bedeutet die Kurzarbeit für mich? Wieviel Lohn kriege ich noch, wenn ich überhaupt etwas bekomme? Von was soll ich meine nächste Miete bezahlen? Wie lange werden diese Maßnahmen gelten? Wie sieht die Welt danach aus?

Eine Menge Fragen, die im Moment keiner beantworten kann. Vielleicht sollten wir alle die Situation nutzen, um kurz innezuhalten. Unser Lebensstil war offensichtlich darauf programmiert uns zu Egoist*innen zu erziehen, an uns selbst zu denken und schlussendlich mit vollem Tempo gegen die Wand zu fahren. Alle paar Jahre kollabiert die Börse und es gibt Finanzkrisen, die vom Staat aufgefangen werden. Nicht sehr effizient. Überhaupt stellt sich die Frage, wie effizient wir alle bisher gearbeitet haben. Jetzt, wo alles stillsteht, zeigt sich, wie viele unserer täglichen Aufgaben völlig überflüssig waren. Vom Meeting bis hin zu ganzen Wirtschaftszweigen.

Dieser Stillstand ist ein schwerer Einschnitt in unseren bisherigen Lebensstil, den wir uns nicht hatten vorstellen können, den wir uns aber gleichzeitig schon lange wünschen. Weniger konsumieren, weniger brauchen, weniger machen. Diese Situation erlaubt es uns einmal in Ruhe über unsere Welt nachzudenken. Und da gibt es vieles nachzudenken. Warum ist und Mode so wichtig? Welche materiellen Güter sind reine Prestigeobjekte. Dinge, die wir glauben zu brauchen werden nichtig, jetzt wo wir sie nicht mehr so schön vorführen können. Was haben wir nicht alles aus Langeweile gekauft? Denn dank online-Handel haben wir noch immer die Möglichkeit, alles zu kaufen, aber uns wird klar: wir brauchen es nicht. Unsere Wohnungen stehen voll mit Unterhaltung, Bildung und Kreativität.

Dieser Stillstand könnte utopische Ideen wahrwerden lassen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen. Eine Umstellung auf nachhaltige Wirtschaft und erneuerbare Energien. Flexiblere Arbeitsumstände in Unternehmen. Mehr Selbstständigkeit. Das Gesundheitssystem wird grundlegend verbessert. Aber Utopie beinhaltet auch Dystopie: Das bedingungslose Grundeinkommen wird nicht bedingungslos. Überwachungsmechanismen, wie das Handy-Tracking bleiben in Kraft. Rating Systeme à la Black Mirror/China bestimmen, zu welchen Dinge wir Zugang haben. Die Bewegungsfreiheit bleibt als Sicherheitsmaßnahme eingeschränkt. Wer nicht mitspielt, erhält „ehrebliche Verwaltungsstrafen“.

In Italien, wo die Quarantäne schon seit 8. März gilt, singt man um 18Uhr Verdis Gefangenenchor Va, pensiero von den Balkonen. In Österreich singen bisher wir Country Roads. Na servas.

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